Eine Kolumne von Anke Schmitz
Winter. Der Garten steht still. Eine Sache weniger, die in meinem Alltag neben Kindern, Tieren und Hütte permanent gemanaget werden will. All diese Entscheidungen, die das Leben einfordert, Dinge, die für einen funktionierenden Alltag herbei organisiert und erledigt werden wollen, kosten bei all der Freude, die sie meist mit sich bringen, eben auch Kraft.
Midlife Crisis im Garten
Zudem bin ich Anfang vierzig und, machen wir uns nix vor, eine Prise Weltschmerz über die Endlichkeit meines Daseins ist nicht zu leugnen. Die Akzeptanz einer gewissen Lebenserfahrung fällt mir allerdings deutlich leichter als die ersten Anzeichen für meinen körperlichen Verfall. So konnte mein Rücken nach meiner letzten Pflanzaktion erst wieder durch meinen Mann aufgerichtet werden. Nach kurzer Unterbrechung der vielen ersten Male des Heranwachsens, dem ersten Zahn, Schultag, Wohnung, nun also mein erster Hexenschuss, dem nach jovialen Aussagen befreundeter Gärtner*innen viele weitere folgen werden. Hinzu kommt die vielbesungene Jahresuhr. Im Beet heißt das: Krokus, Tulpe, Iris, Rose, Phlox, Aster – Winterpause – Neustart. Die Schönheit des Gartens mutiert für mich mitunter zum Liveticker für die Zündung einer blühenden Zeitbombe.
Da kommt es mir gerade recht, dass das heimische Grün im Winter weder was von mir will, noch mich an Themen erinnert, mit denen ich mir derzeit schwertue.
Autonomie der Prozesse
Aber selbst jetzt, wenn ich meinen Garten meist nur vom Fenster aus betrachte und nur auf dem Weg zum Kompost betrete, lerne ich von ihm eine heilsame Lektion. Denn natürlich passiert im Winter nur mit flüchtigem Blick wirklich nichts im Beet. Viele Prozesse liegen einfach unterhalb der Oberfläche. Die Pflanzen induzieren durch Kälte ihr Blüten, schieben und verzweigen ihre Wurzel an wärmeren Tagen, die Laubmasse auf den Beeten zersetzt sich und versorgt den Boden mit Nährstoffen während sie kleineren Insekten Winterschutz bieten. Warme Tage und Sonnenstunden werden unbemerkt gesammelt und bei ausreichender Menge schwellen die ersten Knospen mancher Gehölze an. Sogar der Rasen ist bei mir an diesen milden Tagen etwas gewachsen.
Lektion des Wintergartens
All das passiert gerade da draußen vor meinem Fenster. Diese Prozesse funktionieren seit Tausenden von Jahren als essenzieller Bestandteil unseres Daseins auf diesem Planeten und sie werden es noch für viele Generationen bleiben. Arrangiert man im Garten seine ausgesuchten Pflanzen meist so, dass sie in erster Line gefallen sollen, sind diese doch auch immer Teil des großen Ganzen, der bereits vor dem Erscheinen von Homo horticola wunderbar funktionierte. Egal ob Staude, Gehölz, Einjährige oder die mittlerweile verschriene Rasenfläche: Sie alle bilden Sauerstoff, bringen das Wasser aus dem Boden in die Luft und bestimmen so maßgeblich unsere Atmosphäre mit. Während wir in der Gartengestaltung also häufig um ästhetische Ansprüche kreisen, machen unser Pflanzen parallel richtig „krassen Sachen“, den wir im Alltag so meist gar nicht auf dem Schirm haben. Und hierbei spielen die Sticheleien über meinen Alterungsprozess oder die selbst kreierte Wahrnehmung, die „Welt retten zu müssen“, nun wirklich keinerlei Rolle. Meine Zipperlein mal in den universellen Kontext zu setzen, kalibriert meinen bescheidenen Problemhorizont… und das tut echt extrem gut.
Über die Autorin
Sie freut sich sehr, dass sie für „Blattgrün“ erneut eine Kolumne schreiben darf!
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