Eine Kolumne von Anke Schmitz

Es ist Frühling. Das sonnige Gelb der Forsythie strahlt uns wie die Sonne selbst aus zahlreichen Gärten entgegen und verbreitet die frohe Kunde, so scheint es. Wer allerdings achtlos sein Herz an diesem Anblick erwärmt, outet sich als Hinterwäldler. Der gut informierte und moralisch umsichtige Gartenbesitzer weiß natürlich längst, dass das, was da blüht, mit Vorsicht zu genießen ist, nein, eigentlich sogar rausgerissen und durch eine ökologisch sinnvollere Variante wie die Kornelkirsche ersetzt gehört. Bienen und andere Insekten können mit den Blüten nämlich rein gar nichts anfangen.  Einzig der Ligusterschwärmer soll als Raupe vom Laub zehren, so sagt Wikipedia. Ganz drastisch formuliert es sogar manches Naturschutzvereins-Mitglied, wenn es den ökologischen Wert der Forsythie mit dem von Plastikpflanzen gleichsetzt. Diese kategorische Art, Menschen zum Naturschutz bewegen zu wollen, stößt mir jedes Mal auf – also nicht das Anliegen „die Natur“ zu schützen, sondern die Art wie. Ich bin da eher für beziehungsbildende Maßnahmen und das „big picture“.

Mit wem haben wir es zu tun?

Schauen wir uns das frevelhafte Gehölz einmal genauer an, auch weil ich auf Kulturgeschichte stehe. Forsythia suspensa und Forsythia viridissmia kamen in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts aus China in Europa an, wo sie in Deutschland mit den Wintern zu kämpfen hatten und meist bis auf den Boden abfroren. Wie bei vielen anderen Gartenpflanzen, die heute unsere Gärten bestücken, also auch hier ein riesiger Aufriss, um die Pflanze überhaupt erstmal nach Europa zu holen und festzustellen, dass das hübsche Gehölz in unseren Gefilden doch etwas schwach auf der Brust ist. Das finde ich schon mal beeindruckend. Jedenfalls ist es einer glücklichen Bastardisierung aus den beiden Forsythienarten zu verdanken, das 1878 im botanischen Garten von Göttingen die frostunempfindliche Forsythia x intermedia entstand, die somit ganz frei schon fast als europäisch bezeichnet werden kann. Forsythia x intermedia wurde kultiviert, Sorten bildeten sich heraus. Der gelb blühende Strauch erfreute sich fortan zunehmender Beliebtheit.

Bedeutung für den phänomenologischen Kalender

Über die Jahrzehnte wurde das Gehölz aus der Familie der Ölbaumgewächse Bestandteil des phänomenologischen Kalenders und diente so als zuverlässige Orientierung für verschiedene gärtnerische Tätigkeiten, die im alljährlich frisch ergrünenden Frühjahrsgarten bis heute anstehen. Die Forsythienblüte läutet den Hochfrühling ein. Mit länger andauernden Frösten ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu rechnen. Sinnvoller Weise legt man damit kein Datum fest und auch regionale Unterschiede berücksichtigt die Methode. So soll man bekannter Weise Rosen aber auch andere frostempfindliche Sträucher wie Lavendel zur Forsythienblüte ab etwa Mitte März zurückschneiden.Und auch die erste Rasendüngung steht zu diesem Zeitpunkt an. Gerade für Hobbygärtner schaffen solche Regeln Sicherheit. Wenn man weiß, was man im Garten zu tun hat, ist die verbrachte Zeit dort auch gleich viel entspannter, der Garten dementsprechend wesentlich positiver assoziiert. Die Kornelkirsche ist mit ihrer Blüte im Übrigen ein paar Wochen früher dran und bietet so in diesem Punkt keinen Ersatz.

Die unterschiedlichen Bedürfnisse

Mal ganz unabhängig davon ist der Garten für mich ein Ort, der glücklicher Weise als Mittler zwischen Natur und Kultur unterschiedlichsten Bedürfnissen gerecht werden kann. Die Einen gehen in der körperlichen Ertüchtigung auf, freuen sich über die Früchte ihrer Arbeit in Form von einer üppigen Gemüseernte oder einem Blumenstrauß. Andere genießen ein gemeinschaftliches Zusammensein mit Freunden und Familie unter freiem Himmel. Und wieder anderen geht das Herz auf, wenn sie nach den Unbilden des Alltags bei kontemplativem Grün entspannen und auftanken können. Mir selbst rauschen Glückshormone durch den Körper, wenn ich Hand in Hand mit den Kräften der Natur wirken kann, sich möglichst viele Tierchen einfinden und ich mich über dieses wahnsinnige Organ „Boden“ mit der Natur verbunden fühle. Und ja, ich selbst habe die Kornelkirsche.

Das Leben ist bunt

Wichtig ist bei all dem aber erstmal der Spaß an dem eigenen persönlichen Dialog mit der Natur. Hierbei lernt man seine Pflanzen und Umwelt kennen, baut eine Beziehung dazu auf. So entsteht Verbundenheit. Rausreißen und ersetzen passt für mich irgendwie nur schwer dazu. Und es mag vielleicht etwas naiv klingen, wenn ich schreibe, dass diese Verbundenheit wohl der beste Garant dafür ist, dass man beginnt, das was man mag zu beschützen und zu bewahren. Und wenn darunter ein Strauch ist, der mich in erster Linie begeistert und mich mit Freude meinem Garten begegnen lässt, mir darüber hinaus vielleicht noch die Sicherheit gibt, wo ich mich zeitlich im Gartenjahr befinde, so what?! Alles gut. Go for it. Die Forsythie ist ein Strauch, der ein Einstieg in das Thema Garten und Umwelt sein kann. Das Leben ist nicht schwarz oder weiß. Manchmal ist es gelb.

Über die Autorin

 

Die Autorin Anke Schmitz Foto: (c) Sabrina Rothe
Anke Schmitz‘ Herz schlägt für Gärten und Menschen. Als Kunsthistorikerin und gelernte Gärtnerin hat sie ihre Wurzeln in der Gartendenkmalpflege. Meist führt Anke Interviews mit ganz verschiedenen Gartenmenschen, die u.a. in der Gartenpraxis, bei Zeit Online oder im eigenen Blog „Grünes Blut“ erscheinen.

Sie freut sich sehr, dass sie für „Blattgrün“ erneut eine Kolumne schreiben darf!